Ein Jahr Pagode - Erfahrungsbericht

Dieses Thema im Forum "Erfahrungsaustausch" wurde erstellt von OliBru, 24. Januar 2025 um 14:10 Uhr.

  1. OliBru

    OliBru Aktives Mitglied

    71
    11. Juni 2024
    So, für die meisten erfahrenen von Euch vermutlich uninteressant, weil - kennt ihr alles selbst - aber es kommen ja doch auch immer wieder mal neue Mitglieder dazu, wie ich sehe. Vielleicht mags ja jemand lesen, sonst kann man das auch gerne wieder löschen:

    Seit einem Jahr Pagodenbesitzer

    Zunächst mal, nicht um irgendjemanden in irgendeiner Weise zu kritisieren oder zu klassifizieren, meine persönliche Pagodenbesitzer-Einordnung. Da gibt es für mich 4 Kategorien (alle respektabel!).

    1. Alleskönner und Experten
    Die kaufen eine alte Gurke, zerlegen sie bis auf die letzte Schraube und haben nach einiger Zeit (manchmal auch ein paar Jahren), ein Top-Fahrzeug da stehen, dass man nur bewundern kann. Meistens doch mit irgendwelchen ingenieurtechnischen oder mechanischen Vorkenntnissen.

    2. Könner
    Die machen das allermeiste selbst und scheuen sich auch nicht ein Teil zu zerlegen, von dem ich nicht mal wusste, dass man es überhaupt zerlegen kann.

    3. Willige
    Die trauen sich an ein paar Sachen, manchmal auch schwierige, ran und versuchen Werkstattbesuche so weit möglich zu vermeiden. Sie haben aber doch größten Respekt und sind - zumindest am Anfang - eher besorgt was kaputt zu machen als zu heilen.

    4. Zuschauer
    Die bringen ihre Pagode lieber immer zur Werkstatt und verlegen sich ganz auf das Genießen des Fahrens.

    Ich gehöre zur Klasse 3, "Willige" und zur, hier nicht näher erläuterten Unterkategorie 'Halb-Bekloppte' (dazu später mehr).

    Vor dem Kauf bin ich öfter zu Ausfahrten eingeladen worden und bin mit allerhand Autos durch die Gegend gefahren. Es hat mir jedes Mal riesigen Spaß gemacht. Und ein paar Jahre ging ich mit dem Gedanken schwanger, mir einen eigenen Oldtimer zu kaufen. Die Pagode mochte ich schon immer und sie war auch mein Favorit.

    Schließlich, zu Beginn des letzten Jahres gab es eine Gelegenheit. Ein 230 SL, Bj.1965 mit Gutachten 1. Preis: 100.000 €.
    P Kauf.jpg
    Natürlich bin ich staunend um das Auto herumgelaufen, habe so fachmännisch draufgeschaut wie eine Blondine mit Minirock unter die Motorhaube (7. Sinn, Sendung in den 70ern), aber konnte freilich überhaupt nicht bewerten, ob das mit der Klasse 1 so stimmt und wie ich es hätte überprüfen können.

    Ich kannte aber den Besitzer der Werkstatt seit vielen Jahren, auch seine Mitschrauber und hatte Vertrauen in ihn. Es gab jede Menge Bilder und auch Videos von der kompletten Restaurierung, ich konnte nichts entdecken, was man sofort hätte entdecken müssen (dachte ich damals) und habe gekauft.
    Zu teuer? Keine Ahnung. Habe das Auto mit einem guten Gefühl bezahlt und hatte (zurecht, wie ich meine) Vertrauen in den Verkäufer. Das hat sich im Wesentlichen auch im Nachhinein nicht geändert.
    Zu viel Geld trotzdem bei der Marktlage? Keine Ahnung, viel Geld trotzdem. Ich war es bereit auszugeben, weil ich von vornherein wusste, dass ich zu Kategorie 3 gehöre und das Auto immer gut pflegen würde (Unterkategorie Halb-Bekloppte). Putze ihn jedenfalls häufiger als meine Schuhe.

    Erste Fahrt von der Mosel nach Berlin - ein Traum war in Erfüllung gegangen. Gut, Radio war nicht drin, wusste ich aber. Also Bose-Box in die Mittelablage und gestreamt. Tolle Fahrt, alles prima.

    Zuhause angekommen natürlich entsprechend o.g. Unterkategorie erstmal gewaschen, getrocknet und gefönt. Auto meiner Frau, zum Glück ein Sommerauto, musste aus der Doppelgarage weichen, denn der Platz gehörte nun allein "ihr".

    Ich glaube ich bin in der ersten Nacht aufgestanden und habe geschaut, wie es dem Auto geht, kann ich aber auch geträumt haben.

    Am nächsten Morgen der Schock:

    Unter dem Motorraum jede Menge Ölflecke. Ein See, fand ich und rief sofort meinen Verkäufer an. "Oh Gott, das ist ja schrecklich!" sagte er und machte sich sofort, mit einem unabhängigen Motorbauer auf den Weg.
    Als sie ankamen lachten sich mich aus und meinten, der Motor ist frisch komplett überholt, da sind so ein paar Tropfen ganz normal. Wir tranken ein Bier und ich glaubte kein Wort, versprach aber Gelassenheit und nahm ihnen das Versprechen ab, wiederzukommen, wenn das nicht besser würde.

    Nach zwei, drei Ausfahrten wurde es weniger, mittlerweile tropft nichts mehr und der Motorraum sieht noch genauso frisch gepudert aus, wie beim Abholen. Bin also beruhigt und die beiden mussten nicht mehr kommen.

    Klasse 1, das Gefährt, was soll ich machen außer fahren?

    "Ah", sagt meine mir noch zugeneigte Ehefrau bei der nächsten Fahrt, "diese blöde Sonnenblende klappt immer runter. Kann man das Ding nicht festmachen?"
    Pagodentreff durchstöbert, Anleitung gefunden, Sonnenblende abgebaut. Aber da war nichts zu machen. Das Innenleben hatte es hinter sich. Neue, natürlich originale, Sonnenblende gekauft und die ersten Hunderter waren 'investiert'. Hätte das nicht das Gutachten von Klasse 1 zumindest gefährden sollen? Ne, dachte ich, doch nicht eine Sonnenblende.

    Ich hatte meine allererste Schrauberfahrung (na gut, Mädchentennis unterste Liga).

    Frisch ans Werk, dachte ich, wenn Du eine Sonnenblende tauschen kannst, dann ran ans Radio. Handschuhfach raus, Uhr raus und los. Kann ja nicht schwer sein.
    War es auch nicht - nach zwei Stunden. Dann endlich hatte ich irgendeinen Winkel gefunden, mit dem die Aufnahme für Lippenstifte endlich aus ihrem blöden Loch war. (Zeit wurde später nur übertroffen vom Wiedereinbau). Radio eingebaut (mit Hilfe elektronisch versierter Freunde), Uhr wieder rein und bis tief in die Nacht, das Handschuhfach in 266.753 Bewegungen locker wieder eingesetzt.

    Nach drei Monaten das nächste Malheur: Zylinder der Fahrertür steht immer raus.
    Nun, das mit Klasse 1 war jetzt aber doch bedenklich - obwohl - wer hätte das vorher ahnen können, dass es einmal sooo weit kommt.
    Das Ding rauszubauen war dann meine bis dato schwerste Arbeit, denn Türverkleidung musste raus (und später wieder rein), aber ich war ja nun auf schnellem Weg, Handwerksmeister zu werden. Es hat geklappt und ich habe mich angesichts des Innenlebens des Türschlosses für gleich einen neuen, natürlich originalen Griff mit Schloss entschieden. Ich schließe meine Tür wieder ab wie ein Großer, habe allerdings auch einen Schlüssel mehr am Bund, na ja.

    Zwei Monate später meine erste Nachtfahrt - und jetzt wurde es brenzlig: Kombiinstrument bleibt unbeleuchtet, ebenso das linke Bedienelement für die Heizung/ Lüftung.
    PT-Forum, Ullis Anleitung gelesen und auswendig gelernt. Aber den Tacho und das Kombiinstrument auszubauen, davor hatte ich doch einen gewaltigen Respekt. Zu viele Kabel und Schläuche und mit Elektrik habe ich es ja auch nicht so.
    Habe mich dann doch rangetraut und - was soll ich sagen - alle im Forum haben ihr Versprechen gehalten! Meine Hände sind - wie vorausgesagt - wieder abgeheilt!
    Rausbauen ist im Übrigen doch sehr viel einfacher, als irgendwas wieder reinzusetzen. Dafür bin ich nun Experte und gehöre eigentlich (für ein paar Sekunden lang) in Kategorie 1 (Alleskönner). Na gut, so lange wie ich bis eins zählen kann.
    Am Ende aber - alle Instrumente drin und leuchten so schön, dass ich ab da eigentlich nur noch nachts fahren wollte.

    Die jüngste Tragödie ist nun, dass mein Dachgestell (Faltdach) über den Seitenscheiben leicht durchhängt und dadurch die Tür nur sehr schwer schließt. Das war am Anfang nicht so und muss nun irgendwie gerichtet werden. Ich habe im Augenblick noch Respekt davor, es hinten (B-Säule) zu lösen und nach vorne zu verschieben. Wer weiß, ob ich das je wieder fest und die Federn eingehängt bekomme. Mal sehen, vielleicht rutsche ich kurz in Kategorie 4 und fahre zu einem Sattler mit Gestänge-Erfahrung.

    Vermutlich ist, durch die Schwergängigkeit beim Schließen der Tür, nunmehr auch der Schließkeil in der Laibung der Tür gelockert. Schrauben kann man nicht, wie ich gelernt habe. Schweißen kann ich schon mangels Equipment nicht, vielleicht tausche ich es nach dem Richten des Gestells gegen einen neuen, natürlich originalen, Keil aus. Ich denke nach.

    Sonst? Nix! Das Auto läuft traumhaft, steht ansonsten warm und ich genieße die Zeit bei der Fahrt, hier im Forum und beim Putzen (Halb-Bekloppte). Ich fand wohl das mit den zerschundenen Händen beim Ausbau der Instrumente so cool, dass ich mir das jetzt - mangels Reparaturbedarf - immer beim Waschen und Trocknen hinter der scharfkantigen Stoßstange hole. Ein Riesenvergnügen jedes Mal!

    Mein Fazit:
    Ich habe den Ehrgeiz
    a) irgendwann in Kategorie 2 aufzusteigen (wenn ich lang genug lebe) und
    b) die Michelin-Sterne der Gutachtenklasse 1 so lange zu halten wie möglich (damit die Leute auch weiterhin beim Vorbeifahren so schön winken und den Daumen nach oben strecken)

    Ich berichte weiter, wenn mal wieder ein Jahr rum ist.

    Liebe Grüße
    Oliver
     
    Zuletzt bearbeitet: 24. Januar 2025 um 14:16 Uhr
    kdskw, Bernhard R., MB-doc und 8 anderen gefällt das.
  2. ursodent

    ursodent ursus antennae

    9. Mai 2004
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    Weiter so mit der Launigkeit!

    Bei vielen läuft dabei ein Film ab!
     
    Hans-Georg, Sead und OliBru gefällt das.
  3. honeyfritz

    honeyfritz honeyfritz

    163
    23. Januar 2007
    Hallo OliBru,
    Super Bericht. Lass Dich nicht entmutigen. Irgendwas ist immer! Mir ging es vor 20Jahren ähnlich. Meine Pagode war komplett zerlegt. Hat 2 Jahre gedauert bis sie wieder lief. Ich habe die Schweißarbeiten alle von einem Bekannten machen lassen. Nur die von Dir beschriebenen Probleme habe ich auch durchgemacht.
    113 Grüßle
    Fritz
     
  4. OliBru

    OliBru Aktives Mitglied

    71
    11. Juni 2024
    Gar nicht - im Gegenteil....angefixt nennt man das wohl eher :bierkrug:
     
  5. Ulli

    Ulli Altbenzlenker

    3. April 2004
    Stimmt! :D
     
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  6. d.Hahn

    d.Hahn Aktives Mitglied Mitarbeiter Administrator

    20. November 2003
    Hallo Oliver, freue mich jetzt schon auf die Fortsetzung.

    Wir sehen uns in Lü/Tra

    vG
    Detlef
     
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  7. Sead

    Sead Aktives Mitglied

    869
    16. Februar 2016
    Schön geschrieben!:pagode:
     
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  8. DocKlaus

    DocKlaus Aktives Mitglied

    310
    9. Juli 2016
    Wie ich schonmal bei einer PT-Tour kundtat, gab's für mich bislang eigentlich nur zwei Typen von Pagodenfahrern: "Schrauber" oder "Wäscher"! Deine vier Spezies sind aber auch recht treffend beschrieben ;).

    Ich denke, wir lernen uns demnächst auch mal persönlich kennen :bierkrug:.

    Gruß aus dem Ruhrpott
    Klaus (nur "Wäscher")
     
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  9. OliBru

    OliBru Aktives Mitglied

    71
    11. Juni 2024
    wäre schön, denn in Wahrheit bin ich auch Pottler.....
     
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  10. d.Hahn

    d.Hahn Aktives Mitglied Mitarbeiter Administrator

    20. November 2003
    Hallo Oliver, da tuen wir uns mit Klaus aber schwer.
    Zumindest beim Fussball.
     
  11. DocKlaus

    DocKlaus Aktives Mitglied

    310
    9. Juli 2016
    Nun ja, in Anlehnung an die Farben meiner beiden Oldies und in Reminiszens an Loriot werde ich seit Wim-Thoelke-Zeiten auch von einigen "Der blaue Klaus" genannt. Den fußballerischen Rest kann man sich ja denken, aber es wird schon gehen (auch wenn diese Emojis schwarz-gelb sind):bierkrug:.

    Gruß aus dem (gerade nicht so) blauweißen Pott und weiterhin viel Freude mit Deiner Pagode!
    Klaus
     
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  12. Mark-RE

    Mark-RE Aktives Mitglied

    19. Juni 2018
    Ist doch eine gute Geschichte :)

    Zu den Verdeckfedern kann ich dir nen kleine Tipp geben: Einfach ein paar M8 Karosserieunterlegscheiben in die Feder drücken, dann wird die größer und bei halb geklapptem Verdeckbügel kannst du die einfach raus nehmen und zur Seite legen und wenn du mit der Einstellung fertig bist, hängst sie wieder ein, biegst bisschen hin und her und sammelst danach die Scheiben aus dem Verdeckkasten :)

    Wenn man sich son altes Auto kauft, auch ein "vollrestauriertes", da ist immer mal ne Schraube locker, das bleibt selten aus. Da braucht man entweder eine gute Werkstatt um die Ecke oder sollte einfach mal hier und da selbst zum Schraubendreher greifen können.
     
  13. lowin

    lowin Aktives Mitglied

    18. April 2004

    Wie ich schonmal bei einer PT-Tour kundtat, gab's für mich bislang eigentlich nur zwei Typen von Pagodenfahrern: "Schrauber" oder "Wäscher"!
    Deine vier Spezies sind aber auch recht treffend beschrieben ;).
    Ich denke, wir lernen uns demnächst auch mal persönlich kennen.
    Gruß aus dem Ruhrpott
    Klaus (nur "Wäscher")

    Dem widerspreche ich vehement.
    Ich bin bekennender ´Fahrer´, kein Putzer und (heute) nur noch ein Oberflächenschrauber.
    Spiegelnde Grüße
    norbert

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  14. DocKlaus

    DocKlaus Aktives Mitglied

    310
    9. Juli 2016
    Hallo Norbert,

    nun, wie ich sehe (echt süßes Foto) läßt Du ja waschen, also bin ich mit der zusätzlichen Kategorie "Fahrer" einverstanden ;) .

    Gruß
    Klaus
     
  15. OliBru

    OliBru Aktives Mitglied

    71
    11. Juni 2024
    Als 'Halb-Bekloppter' würde ich meiner, mir noch zugeneigten, Ehefrau trotz Dankbarkeit mit Nachdruck empfehlen, das Armband vorher abzulegen.... :):):)

    Im Übrigen erinnert mich das Bild an Kindheitstage, als wir vom Vater immer Watte und Chrompaste bekamen und stundenlang Stoßtangen und andere Chromteile am VW Variant von Flugrost befreien "durften"
     
  16. lowin

    lowin Aktives Mitglied

    18. April 2004
    Danke für den Hinweis.
    Es kann aber nichts passieren, das ist eine absolut wasserdichte Uhr aus einem nicht rostenden, stahlfreien Material.
     
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  17. OliBru

    OliBru Aktives Mitglied

    71
    11. Juni 2024
    :verboten: um dieses Schmuckstück hätte ich mir dabei auch keine Sorgen gemacht :):tanzen:
     
  18. Ulli

    Ulli Altbenzlenker

    3. April 2004
    Bei einer Fahrzeugwäsche mit offenem Verdeck würde ich mir vmtl. noch ganz andere Sorgen machen. Sh. Gartenschlauch...:D

    Gruß

    Ulli
     
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